In unserem neusten Interview haben wir Laura, eine erfahrene Senior Language Data Scientist, getroffen, um über ihren unkonventionellen Karriereweg von der Linguistik zur Data Science zu sprechen. Laura teilt ihre einzigartige Reise, beginnend mit einem Linguistikstudium und einer Werkstudententätigkeit am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), bis hin zur Führung verschiedener Teams in der Wirtschaft. Erfahrt, wie Lauras Interesse an Sprache und Kommunikation sie dazu inspirierte, in die Welt der Daten einzutauchen und wie sie heute ihr linguistisches Wissen in ihrer Rolle als Data Scientist einsetzt.
Das ITgirl im Profil
Name: Laura Seiffe
Position: Senior Language Data Scientist
Foto: © Lukas Schulze
Welche Inhalte deines Studiums in Linguistik und Kommunikations-/Sprachwissenschaften sind dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ich habe unglaublich gerne Linguistik studiert und würde es auch immer wieder wählen, auch wenn die tatsächlichen Inhalte mittlerweile wenig Anwendung in meinem beruflichen Alltag finden. Ich fand alle Aspekte der theoretischen Linguistik fantastisch: Syntax, Morphologie, Phonologie und Semantik. Zu einer mehr datenorientieren Linguistik bin ich erst über das Programm R gekommen, das ich für die Auswertung der Erhebungen meiner Bachelorarbeit gebraucht habe – meine Uni hatte leider keine SPSS-Lizenzen, und so musste ich mir R selbst beibringen, hatte aber überraschenderweise viel Spaß! Es hat trotzdem noch ¾ meines Masterstudiums gebraucht, um zu verstehen, dass NLP (Natural Language Processing), ein Teilbereich der KI, ein passender Bereich für mich ist. Es gibt sogar entsprechende Studiengänge, beispielsweise Computerlinguistik, darauf wäre ich aber nach dem Abi selbst nicht gekommen. Was ich heute aus meinem Studium noch nutze ist in erster Linie ein grundlegendes Verständnis für Sprache auf diversen Ebenen. Menschliche Kommunikation und Sprache sind so unglaublich komplex, und es ist wahnsinnig spannend, diese Komplexität in KI Anwendungen nachzubauen.
Du hast während deines Studiums als Werkstudentin am DFKI gearbeitet. Wie ist es dazu gekommen und was war die Herausforderung für dich?
Ich bin durch eine glückliche Fügung ans DFKI gekommen. Der damalige Standortleiter hat ganz am Ende meines Masterstudiums ein Gastseminar gegeben, und ich bin völlig unbedarft in diesen Kurs gegangen.
Schon nach wenigen Stunden war ich aber on fire – mir hat sich quasi eine neue Welt offenbart! Ich war überglücklich, als ich als HiWi am DFKI angenommen wurde, obwohl ich quasi kein Vorwissen mitgebracht habe.
Mit zwei Kollegen habe ich als erste Aufgabe ein Schema für die Klassifikation von Vorhersagen einer KI entwickelt und so die Qualität überprüft und Hinweise für nötige Anpassungen der Modelle geliefert. Es war allerdings gar nicht so einfach, sich als Linguistin zwischen all den Informatikern und KI-Spezialisten am DFKI nicht eingeschüchtert zu fühlen - eigentlich ging es mir auch noch als „vollwertige" wissenschaftliche Mitarbeiterin dort nach dem Master so.
Ich musste erst lernen, den Wert meines Beitrags wirklich zu sehen, aber ich musste mir auch viele Fähigkeiten aneignen, die für meine Kollegen selbstverständlich waren. Zum Glück hatte ich sowohl Hilfe und Unterstützung von ihnen und zusätzlich die Freiheit, mich auszuprobieren und mich im laufenden Projekt weiterzuentwickeln.
Wie eignest du dir selbst neue Fähigkeiten an? Wie schließt du Wissenslücken?
Neue Dinge zu lernen ist im Grunde der schönste Aspekt meiner Arbeit für mich. Ich würde auch sagen, dass es ein inhärenter Teil von Jobs ist – jede neue Aufgabe braucht eine neue Lösung, und das Team muss gemeinsam herausfinden, wie diese Lösung aussehen kann. Ich habe keine Angst, Dinge einfach auszuprobieren und dabei auch Fehler zu machen. Eine gute Fehlerkultur und entsprechendes Feedback vom Team sind dabei natürlich entscheidend. Bisher hatte ich immer das Glück, mit Menschen zusammengearbeitet zu haben, die das ebenfalls so sehen. Sich Wissen anzueignen war noch nie so einfach wie heute. Das Internet ist voll von Tutorials, How-Tos und Beispielen! Die Kunst ist es nur, diese ganzen Quellen auszuwerten, zusammenzufügen und für das jeweilige Problem anzupassen.
Was hat dir an der Arbeit in der Forschung Spaß gemacht und warum wolltest du am Ende doch in die Wirtschaft?
Das Forschen am DFKI war ein fantastischer Start ins Berufsleben und in die Branche. Ich war von beeindruckenden Wissenschaftler:innen umgeben, die ein wahnsinnig unterstützendes Netzwerk gebildet haben. Ich hatte die Möglichkeit, mir einen eigenen Forschungsschwerpunkt zu suchen und meinen Weg zu Ergebnissen recht frei zu gestalten.
Ich habe die Arbeit an der Promotion allerdings als sehr einsam empfunden. Ich hatte immer mehr das Bedürfnis nach einem Team und einem gemeinsamen Ziel, das nicht nur aus akademischen Veröffentlichungen besteht.
Unglücklicherweise empfinde ich auch das Schreiben von Papern als sehr zäh – keine gute Grundvoraussetzung. Deshalb bin ich nach ein paar Jahren und einer unvollendeten Doktorarbeit in die Wirtschaft gewechselt. Ich konnte es mir allerdings leicht machen, weil ich in eine Ausgründung des DFKI gegangen bin. Dort haben wir ein Produkt, das ursprünglich am DFKI in einem Forschungskontext entstanden ist, weiterentwickelt und vertrieben. Was mir geblieben ist, ist der Wunsch nach „Research and Development" Kontexten – ich arbeite durchaus gerne nach wissenschaftlichen Kriterien und mag es, mich auszuprobieren. Am Ende liefere ich aber gerne konkrete Lösungen für konkrete Probleme, ohne ein Paper schreiben zu müssen.
Foto: © Lukas Schulze
Du hast in deiner bisherigen Arbeit verschiedene Teams geleitet. Was ist dir bei der Zusammenstellung eines Teams wichtig?
Ich bin in der Regel für die gesamte Arbeit rund um die Daten zuständig. Das umfasst im Großen und Ganzen das Bereitstellen der Trainingsdaten sowie die Evaluation von Ergebnissen. Für diese Aufgaben werden die Fähigkeiten von Data Scientists und Data Analysts gebraucht, aber sie beinhalten auch immer wieder umfangreiche manuelle Arbeit, beispielsweise Annotation oder Qualitätskontrolle. Für diese manuelle Arbeit arbeite ich gerne mit studentischen Teams zusammen. Für solche Aufgaben müssen die Kandidat:innen auf der einen Seite ein Gespür für das Medium Sprache mitbringen, und auf der anderen Seite Stärken im analytischen und programmatischen Denken haben: Sprache als Daten zu betrachten ist also eine spannende Intersektion von geisteswissenschaftlichen und MINT-Aspekten. Ausgehend von so einer Position lassen sich dann sehr gut Programmier- oder auch Projektmanagement-Fähigkeiten ausbauen. Tiefere Vorkenntnisse sind oft gar nicht unbedingt nötig – aber ein grundlegendes Interesse an dem Thema und Erfahrungen mit beispielsweise Excel sind definitiv ein Indikator für eine gute Kandidatin. So eine Rolle ist meiner Meinung nach ein toller Einstieg in die IT- oder KI-Branche, und mir hat sie vor Jahren am DFKI viele Türen geöffnet. Ich habe immer die Hoffnung, für jemanden dasselbe Sprungbrett bieten zu können, und stelle gerne Quereinsteiger:innen ein.
Was hättest du gerne zu Beginn deines Studiums gewusst?
Ich hätte sehr gerne früher gelernt, dass die IT überhaupt eine Option ist! Mein Informatikunterricht in der Schule war eher dürftig, und ich bin dann wohl in die typische Falle getappt und wollte „was mit Sprachen" machen.
Ein konkretes Karriereziel hatte ich nie, und wurde dann nach einigen Semestern Linguistik doch auch nervös, wohin sich die Reise entwickeln sollte. Am Ende verdanke ich einigen Zufällen sowie Menschen, die es sehr gut mit mir meinten, meine Entwicklung. Lange habe ich dann auch mit meinem „krummen" Lebenslauf gehadert, allerdings lerne ich gerade, dass diese Interdisziplinarität sogar ein Vorteil sein kann, und würde daher nichts ändern wollen.
Welchen Rat würdest du jungen Frauen geben, die unsicher sind, welchen Berufsweg sie einschlagen sollen?
Ich würde jedem empfehlen, den eigenen Interessen zu folgen – aber genug Pragmatismus mitzubringen, um offen für Kompromisse zu sein. Es hilft, mutig zu sein und Ja zu Optionen zu sagen, die auf den ersten Blick vielleicht zu anstrengend, beängstigend oder zu überwältigend erscheinen.
Ich mag das Prinzip der Serendipität: Manchmal fallen dir Chancen vor die Füße, aber du musst auch aktiv zugreifen.
Wie vereinbarst du Kind und Karriere?
Es gibt leider kein Geheimrezept. Was mir und meiner Familie hilft, ist die große Flexibilität, die ich bisher in meinen Jobs hatte, und das Vertrauen und Entgegenkommen von Chefs und Kollegen. Mein Eindruck ist, dass die IT eigentlich recht familienfreundlich ist, weil Arbeitszeit und -ort oft flexibel sind und der Fokus mehr auf der erbrachten Leistung als auf der abgesessenen Zeit liegt. Was mir auch hilft: Ein Teilzeit-arbeitender Mann und Großeltern in derselben Stadt. Aber das ist die Luxusvariante. Die Kinderfrage ist so individuell und persönlich, dass es sehr schwierig ist, Ratschläge zu geben, ich probiere es dennoch: Aus meiner ganz persönlichen Sicht ist es für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere absolut notwendig, von Anfang an auf eine faire Arbeitsteilung zuhause zu bestehen, auch schon ab der Elternzeit. Die IT ist sehr schnelllebig, und wer mehrere Jahre wegen Kindererziehung ausfällt, hat es beim Wiedereinstieg manchmal schwerer als in anderen Branchen. Auch später sollten Kinderkrankentage, Kita-Basare und Elternabende etc. nicht in der alleinigen Verantwortung der Mutter liegen, aber ich sehe immer noch oft, dass das die Norm ist. Wer sowohl zuhause als auch im Job 100% geben muss, brennt irgendwann aus.
Möchtet ihr mehr über Linguistic Data Science erfahren? Dann gibt euch das DFKI, wo auch Laura tätig war, eine ausführliche Erklärung über den Forschungsbereich.